In Heft 1: Wie können Gemeinschaften gelingen?
von Uta-Maria Freckmann ©
„Verträge sind zum Vertragen!“
So lautet ein altes Sprichwort. Das bezieht sich auch auf schriftliche Absprachen in einer Gemeinschaft, die umso besser gelingen können, je klarer Regeln bestimmte Abläufe bestimmen. Das verhindert im Voraus Streitigkeiten, oder verringert sie auf ein Mindestmaß.
Schon im Mittelalter bei den historischen Beginen gab es Hausregeln, die in den Konventen eingeführt und von der Magistra überwacht wurden, um die Gemeinschaft zu schützen. Damals war es sogar teilweise überlebenswichtig, dass diese Regeln eingehalten wurden, denn es wachten der Klerus, sowie die Mitbürger über Keuschheit, Kleiderordnung und Lauterkeit. Im Vergleich zu heute waren die Regeln äußerst umfangreich, aber sie behandelten zum Beispiel auch Auszahlungen, wenn eine Begine in das Leben zurückgehen wollte, was generell möglich war, denn es gab keine lebenslangen Gelübde. Auch für ein eventuelle Auflösung eines Konvents gab es in den Statuten genaue Verfügungen, damit die Beginen gegebenenfalls eine Versorgungsvergütung erhielten.
Kodex in Gemeinschaften
Wenn die Frauen in einen Konvent eintreten wollten, mussten Hausregeln unterschrieben werden. Typische Regeln früher waren u.a.:
- Jede aufgenommene Begine soll zum Lebensunterhalt Rente oder Vermögen besitzen oder eine Kunst verstehen, um sich die Existenzmittel zu erwerben;
- Keine Schwester wird vor dem Morgengebet ohne Genehmigung das Haus verlassen, ohne Erlaubnis darf vor dieser Zeit kein Mann das Haus betreten oder dort nach dem Abendgebet bleiben;
- Streit zwischen den Schwestern, die der Vermittlung bedürfen, müssen vor dem Schlafengehen geschlichtet werden;
- Wenn eine Schwester der "Fleischessünde" zwei- oder dreimal von zwei oder drei Mitschwestern überführt wird, soll sie vom Haus ausgeschlossen werden;
- Niemals darf eine Begine allein das Haus verlassen, sondern immer in Begleitung einer Mitschwester. Ausnahmen sind nur beim Gang zur Arbeit in das Siechenhaus erlaubt;
- Es wird entschieden, dass eine Frau, die für das Beginenhaus, genannt zum Turm in Strassburg, zugelassen wurde, sich aber entschließt wieder auszuscheiden, ihr Hab und Gut zurück erhält. Doch soll sie zurückgeben, was für Lebensmittel und Ausgaben an diesem Ort entstanden ist, sodass pro Monat 40 Denare zu entrichten sind.
- Wenn aber die Ausstattung, die sie beigetragen hat, klein war und sie irgendwann nach dem 14. Jahr gegangen ist, soll sie diese Ausstattung aufgeben und dem Hause überlassen. Und wenn sie stirbt, soll das, was sie beigesteuert hat, den Schwestern und dem Hause überlassen werden.
- Wenn sie nach Ablauf des 14. Jahres sich per Handschlag verpflichtet hatte, dass sie gehorchen wolle und später aufgrund einer Willensänderung oder aus einem anderen ehrenhaften Grund zurückkehrte, dann soll sie nichts von all den Dingen, die sie mitbrachte, wieder mitnehmen können, sei es bewegliches oder unbewegliches Gut, außer den Kleidern und dem Bettzeug.
- Jede soll eine jede herzlich lieben und nicht durch Worte oder Werke beleidigen.
Dies ist nur ein kleiner Auszug aus den Regeln! Später als die Regeln der Kirchen übernommen wurden, um Aufsehen bei der Inquisition zu vermeiden, konnten diese schon einmal mehrere Seiten betragen.
Beginenkodex heute
In heutigen Beginenhöfen werden oft Genossenschaften oder Vereine gebildet, die Satzungen verfassen, damit man, wenn man eintreten möchte, sich vorab Klarheit verschaffen kann. Es gibt bei manchen Beginenhäusern sogenannte Hausregeln, an die man sich ebenfalls halten sollte. Hier sind ein paar Regeln aufgeführt, die dazu beitragen können, dass eine Gemeinschaft gelingt:
- Jede, die in einen Beginenhof einzieht, bleibt materiell selbstverantwortlich;
- Die Gemeinschaft wirkt bestenfalls im positiven Sinne gemeinschaftsorientiert;
- Es besteht grundsätzlich kein Anspruch darauf, emotionale Bedürfnisse durch die Gemeinschaft zu befriedigen; - Die Strukturen im Beginenhof sind transparent, etwaige Hierarchien richten sich nach den Kompetenzen und dem Verantwortungsgrad innerhalb der Aufgabenteilung;
- Es besteht kein Anspruch auf Pflege im Alter durch die Mitfrauen;
- Der Einzug von Männern in den Beginenhof ist nicht gestattet, nur ein Aufenthalt tagsüber ist möglich;
- Alles was die Gemeinschaft betrifft, wird auf den regelmäßig stattfindenden Treffen beschlossen, eine Teilnahme ist daher empfehlenswert (oder verpflichtend);
- Wir sprechen miteinander, nicht übereinander! Jede Unstimmigkeit soll innerhalb der Gruppentreffen angesprochen und nicht außerhalb der Gruppe erörtert werden.
Gemeinschaftsleben beinhaltet die Bereitschaft, sich auf Konsens und einvernehmliche Gespräche einzulassen. Ein Mindestmaß an Regeln sollte eingehalten werden, um friedvolle Gemeinschaft erfahren zu können. Wobei an dieser Stelle erwähnt werden muss, dass die Intensität des Gemeinschaftslebens sehr unterschiedlich gehandhabt wird in den einzelnen Höfen. So findet sicherlich eine jede, was sie sucht.
„Gemeinschaft ist ein Traum, aber nichts für Träumer.“
Diese Worte stammen von Dieter Duhm, dem Gründer der Gemeinschaft Tamera. Auch der Theologe Dietrich Bonhoeffer kannte die Ursache von zerstörerischen Tendenzen in Gemeinschaften, denn er hinterließ uns diesen Hinweis:
„Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“ [Zitatende]
Damit spricht er (unbewusste) Wünsche, Träume und vor allem unausgesprochene Pläne und Vorstellungen an. Wer unbewusst als Fordernder in eine Gemeinschaft eintritt und seine wahren Absichten nicht kennt, wird sehr zerstörerisch einwirken. Leider erkennt man das oft erst sehr spät, was die ganze Gemeinschaft schwer erschüttern kann. Bewusstwerdung der Motive in Gesprächen vorab dienen der Klarheit und sind unbedingt wichtig.
Viele Beginenhöfe in der Planungsphase haben die besten Absichten und möchten gern Gemeinschaft leben, um sich gegenseitig zu unterstützen, oder der Vereinsamung im Alter vorzubeugen. Leider scheitern sie sehr oft gleich am Anfang, weil sie keinen gemeinsamen Nenner haben, der sie als Gemeinschaft zusammenführt. Die Interessen sind zu unterschiedlich, als dass man sagen könnte: „Wir ziehen an einem Strang.“
Gemeinsame Themen in einer Gemeinschaft können sein:
Liebe zur Umwelt; Altersversorgung (wie genau, wäre zu klären); gemeinsame Veranstaltungen und Unternehmungen (Reisen, Kurse; Seminare); freie Spiritualität leben; Kultur, Kunst und mehr.
Daher ist es vorrangig wichtig, auszuarbeiten wo genau der Fokus liegen soll, und das entsprechend im Außen zu kommunizieren, damit die passenden Frauen sich melden können. Bleibt man zu allgemein in seinen Vorgaben, wird es oft schwierig mit der Umsetzung eines Projekts. Wenn Frauen angezogen werden, die falsche Vorstellungen haben und zugleich ihre ganz persönlichen Wünsche vorn anstellen, wird es keinen Konsens geben.
Die Schwierigkeiten wären vorprogrammiert und es würde Differenzen geben, die man eventuell durch Klarheit hätte vermeiden können. Dazu können Fragen vorbereitet werden, die jeder Frau helfen, ihre wahren Motive, Vorlieben und Absichten zu hinterfragen.
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Quelle: S. 134/ Klosterfrauen, Beginen, Ketzerinnen. Erlaubnis des Verlages liegt vor.